Raiffeisen-Studie zum Schweizer Immobilienmarkt: Alle wollen mehr Wohnraum
In der Schweiz wird zwar immer dichter gebaut, doch gleichzeitig will jede und jeder immer mehr Wohnraum. Die Rechnung geht nicht auf. Laut einer Raiffeisen-Studie reicht das derzeitige Tempo der Verdichtung nicht, um die Zersiedlung zu stoppen.
Auf einem alten Industriegrundstück neben dem Bahnhof Münchenstein bei Basel entsteht ein Gebäude, das als Paradebeispiel für den Trend zum verdichteten Bauen herhalten kann: Auf neun Wohngeschossen reihen sich insgesamt 82 Wohnungen aneinander, im Erdgeschoss hat es Platz für drei Gewerbeflächen. Der Neubau ragt 30 Meter in die Höhe – gerade so hoch, wie es die Baubewilligung maximal zulässt; und der Grundriss des Hauses füllt die ganze verfügbare Parzelle aus.
Dass hierzulande immer verdichteter gebaut wird, um mehr Menschen auf weniger Platz Wohnraum zu bieten, zeigt auch eine Raiffeisen-Studie zum Schweizer Immobilienmarkt. Neu gebaute Wohnhäuser werden laut Studie immer höher, die Wohnungen immer kleiner und in den Wohnbauzonen wohnen immer mehr Menschen pro Fläche.
Gleichzeitig aber steigt der Flächenverbrauch pro Person unvermindert an. Während sich die durchschnittliche Schweizer Wohnung (inkl. Einfamilienhäuser) seit 2012 nur leicht um 0.3 Prozent vergrössert hat, hat die genutzte Wohnfläche pro Person im gleichen Zeitraum mit 2.9 Prozent fast um das Zehnfache zugelegt (siehe Grafik). «Wenn auf 70 Quadratmetern nur eine Person lebt, hat man weiterhin nur eine schwache Wohndichte», bringt es Neff auf den Punkt.
Gründe sind unter anderen die zunehmende Individualisierung und Alterung der Gesellschaft. Es gibt mehr Ein- und Zwei-Personen-Haushalte, weniger grosse Familien – die Nachfrage nach kleineren Wohnungen steigt. Neff bezeichnet dies als «Wohlstandsyndrom».
Zudem leben immer mehr Menschen in der Schweiz. Bis zum Jahr 2050 rechnet das Bundesamt für Statistik je nach Szenario mit einem Bevölkerungszuwachs zwischen rund 0.8 und 2.6 Millionen Menschen.
Wegen dieser Faktoren reiche das Tempo der Verdichtung bei weitem nicht aus, um die Zersiedelung zu stoppen, heisst es in der Untersuchung. Erschwerend komme hinzu, dass neue Gebäude mit höherer Wohndichte in einem bestehenden Siedlungsgebiet höhere Baukosten verursachen als ein Neubau «auf grüner Wiese», und dass es grosse administrative Hürden gibt.
So hat sich zum Beispiel die durchschnittliche Dauer vom Baugesuch bis zur Baubewilligung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen in den letzten 20 Jahren von 92 Tagen auf 150 Tage deutlich erhöht.
Auch Einsprachen von Anwohnern würden viele Bauprojekte verzögern oder verhindern, frei nach dem Motto: «Verdichtung ja, aber nicht bei uns!» Raiffeisen-Ökonom Neff erhofft sich von den Schweizerinnen und Schweizern diesbezüglich mehr Einsicht: «Wenn man auf der einen Seite nicht will, dass auf der Wiese gebaut wird, dann muss man andererseits einen Kompromiss eingehen und auf seine eigene See- oder Bergsicht verzichten.»
Mietwohnungen werden teurer
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Mieten dürften sich in nächster Zeit deutlich verteuern, weil das Angebot an Wohnungen nach Jahren des Überangebots nun immer knapper wird. Die Nachfrage durch Zuwanderung, Individualisierung und demografische Alterung steige weiter, während gleichzeitig immer weniger neue Wohnungen gebaut würden.
Gehe das so weiter, warnt Raiffaisen-Ökonom Martin Neff , «laufen wir ganz klar in eine Wohnungsnot hinein».
Die Knappheit zeigt sich deutlich an der Zahl der Inserate auf Immobilienplattformen. Im Juni 2022 waren dort 40 Prozent weniger Inserate für zur Miete ausgeschriebene Wohnungen online als noch sechs Monate zuvor.
Quelle: SRF / Raiffeisen
12.8.2022